Ich weiß ja nicht erst seit gestern, dass Zucker nicht mein Freund ist. Oder besser gesagt, Zucker ist ein falscher Freund. Wie ich in meinem Buch „100 Tage zuckerfrei“ geschrieben habe geht es mir am besten, wenn ich zugesetzten Zucker aus meiner Ernährung weitgehend weglasse und mir nur ab und zu ein paar Leckereien erlaube. Mal ein Stück selbstgebackenen Kuchen oder eine Rippe dunkle Schokolade. Doch besser ist es, Süßigkeiten gleich ablehnen als „nur zu kosten“, denn das Aufhören fällt mir dann oft schwer.
Normalerweise kriege ich das auch ganz gut hin. Ich habe außer dunkler Schokolade keine Süßigkeiten im Haus und schreite beim Einkaufen zielstrebig an den Regalen mit dem Zuckerzeug vorbei. Zu viel Zucker – verführerisch und unschuldig verpackt in Milchschokolade, Eiscreme, Marzipanpralinen oder gefüllten Keksen – ist nicht gut für mich.
Und dann kommen Tage wie Ostern. Trotz bester Absichten habe ich es auch heuer wieder nicht hingekriegt, „abstinent“ zu bleiben. Nachdem ich am Karsamstag Muffins zum Verschenken für meine Familie gebacken habe ohne Teig zu schlecken und ohne das ofenwarme Gebäck zu kosten, war ich schon einmal ziemlich stolz auf mich. Doch dann brachte mir meine Mitbewohnerin ein kleines Osterei. Es sah so verführerisch aus, war in buntes Papier gewickelt, aus Milchschokolade und mit einer Nougatcreme gefüllt. „Das kleine Osterei kann nicht schaden“, dachte ich mir (und wusste aber gleichzeitig, dass es das würde). Doch in meinem Gehirn leuchtete schon das Belohnungszentrum auf, Dopamin wurde in Vorfreude auf den kommenden Zuckerschuss ausgeschüttet. Ich war verloren. Ich aß das Osterei (das eigentlich viel zu süß schmeckte) und dann noch 2 von den frisch gebackenen Muffins. Auch an den folgenden Osterfeiertagen griff ich zu Kuchen und Schokolade. Zum Schluss verputzte ich noch einen ganzen Osterhasen aus Schokolade, den ich von meiner Schwester geschenkt bekam. Am nächsten Tag war ich müde und schlecht gelaunt. Jetzt ist Zucker wieder gestrichen.
Ich weiß, ich bin deshalb kein schlechter Mensch mit wenig Disziplin. Früher hätte mich schuldig und furchtbar gefühlt. Doch heute weiß ich es besser. Mein Körper reagiert nun mal auf Süßkram mit Heißhunger und der Gier nach mehr. Auch wenn ich zwei Doktortitel hätte, jedes Wochenende ein Seminar in Persönlichkeitsentwicklung machen und täglich meditieren würde, ich würde auch dann nicht mit zu viel Zucker umgehen können. So ist mein Gehirn gebaut – und das Gehirn von vielen anderen, die bei Süßigkeiten schwach werden und nicht aufhören können.
Fazit: nach Ostern ist vor Ostern. Es ist nichts passiert! Mein menschlich Sein hat mich um eine Erfahrung reicher gemacht. Nichts, worüber ich grübeln oder nachdenken müsste. Es kommt wieder ein Ostern, wo ich es besser machen kann. Ich hake also mein „süßes Ostern“ ab und mache weiter mit meinem Leben. Mein unperfektes Leben, das trotzdem – oder gerade deshalb - so wunderbar spannend und einzigartig ist.