Wer hat das nicht schon einmal erlebt? Es ist früher Nachmittag, wir haben erst vor zwei Stunden ausreichend zu Mittag gegessen und dürften gar nicht hungrig sein. Dann passiert irgendetwas. Was das genau ist hinterfragen wir nicht. Impulsiv greifen wir zum Schokoriegel in der Schreibtischschublade, oder wir holen uns ein paar Nüsse zum Knabbern. Oder Cracker, ein Stück Käse oder ein Stück Kuchen. Wir kauen und schlucken und in kürzester Zeit zeugen nur mehr ein paar Brösel oder ein buntes Einwickelpapier von unserer Tat. Eigentlich hatten wir uns noch heute Morgen vorgenommen, nichts zwischen den Mahlzeiten zu essen, geschweige denn etwas zu Naschen. Wir wollten warten, bis wir wieder hungrig sind, und dann erst essen. Was ist geschehen? Wir waren tatsächlich hungrig – aber nicht körperlich! Der „emotionale Hunger“ hat zugeschlagen und wir konnten gar nichts dagegen unternehmen. Manche würden auch sagen „der innere Schweinehund hat mich dazu verführt“. Oder „ich bin so schwach, ich habe einfach keine Selbstdisziplin“.
Sind wir wirklich unserem Drang zu essen wenn wir körperlich nicht hungrig sind willenlos ausgeliefert? Ich behaupte: NEIN! Denn wir haben es in der Hand, und letztendlich treffen wir die Entscheidung etwas zu essen oder nicht, und nicht der „Innere Schweinehund“ oder ein anderes Wesen das in uns drinnen wohnt und ständig unser Verhalten sabotiert.
Wir müssen erkennen, dass dem Impuls zu Essen etwas vorausgegangen ist. Irgendeine Situation hat uns „getriggert“, oder ein Gedanke, der ein bestimmtes Gefühl ausgelöst hat. Und dieses Gefühl wollten wir nicht fühlen. Doch wie das mit den Gefühlen so ist, wenn wir ihnen keinen Raum geben und sie nicht da sein lassen, dann werden sie umso stärker. Und mit intensiven Gefühlen wollen wir uns schon gar nicht auseinandersetzen. Deshalb haben viele von uns eine Strategie entwickelt, wie wir diesen Gefühlen – und meist sind es unangenehme Gefühle – begegnen. Und zwar mit Essen.
Essen steht heutzutage fast immer und überall zu Verfügung. Essen bringt uns sofortiges Wohlbefinden. Essen lenkt uns ab. Mit Essen können wir uns trösten, uns belohnen und unsere Langeweile damit vertreiben. Doch wenn wir jedes Mal zum Essen greifen wenn es uns nicht gut geht – oder auch wenn es uns gut geht – und dadurch ständig zu viel Nahrung zu uns nehmen, hat das auch gesundheitliche Konsequenzen. Die kennen wir alle. Trotzdem essen wir weiter.
Essen ist deshalb langfristig keine gute Strategie, um den „falschen Hunger“ zu stillen. Was können wir also tun, damit wir uns nicht mehr ständig sabotieren? Wir können uns fragen: „Warum will ich essen, obwohl ich gar nicht hungrig bin? Was ist das für ein Gefühl das ich nicht spüren möchte? Was würde passieren, wenn ich fühle anstatt zu essen? Welche Situation glaube ich, nicht aushalten zu können?“
Je mehr wir uns mit unseren Emotionen anfreunden und erkennen dass sie nicht gegen uns arbeiten sondern wichtige Informationen mitbringen, desto weniger oft brauchen wir Essen als Krücke. Oder als Ersatz. Oder als Freund. Oder als Belohnung. Oder als Tröster wenn etwas schief gelaufen ist. Dann können wir unser Essen genießen und aufhören wenn wir satt sind.
Essen ist Essen. Und Gefühle sind Gefühle. Auch wenn es oft schwierig ist, aber mit Essen hat bis jetzt noch niemand seine Probleme gelöst!
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