Der Babyelefant hat in Zeiten von Corona bei uns in Österreich eine neue Bedeutung bekommen – als Maßstab für Gesundheit und Sicherheit. Wir sollen so viel Abstand zu unseren Mitmenschen halten, dass der kleine Dickhäuter dazwischen Platz hat. Durch diesen Abstand zu anderen Menschen passiert etwas äußerst Interessantes: Wir werden weniger oft in die Energie des anderen hineingezogen. Wir landen wieder bei uns, nicht nur räumlich, sondern auch geistig.
Was geschieht, wenn sich die äußeren Dinge des Lebens verschieben und wir die festgefahrene Alltagsroutine der letzten Jahre oder Jahrzehnte hinterfragen? Unsere Perspektive verändert sich. Wir erkennen mehr, wir sehen mehr, wir werden bewusster. Und so kann es durchaus sein, dass ein anderer Elefant auftaucht, der nichts mit dem Babyelefanten des Abstandhaltens zu tun hat: Es ist der Elefant im Raum.
Bei dieser, aus dem angelsächsischen Sprachraum stammenden Metapher (the elephant in the room), symbolisiert der Elefant ein offensichtliches Problem, das im Raum steht, jedoch von den Anwesenden nicht angesprochen wird. Wir sehen darüber hinweg, schweigen, verleugnen oder verneinen es. Warum tun wir das? Die Gründe sind vielfältig, doch letztendlich geht es immer um die Angst vor den Konsequenzen, die daraus entstehen könnten. Wir fühlen uns in unserer Sicherheit bedroht und fürchten die Ungewissheit der Veränderung, die auf uns zukommen könnte.
Der Elefant im Raum kann viele Formen annehmen. So taucht er momentan in vielen Wohnungen und Häusern auf und stellt unsere Beziehungen auf die Probe. Wo schweigen wir, weil wir den anderen nicht verletzen wollen? Welches Thema haben wir in den letzten Jahren elegant umschifft und es zu einem Tabu werden lassen? Wann haben wir zum letzten Mal ehrlich über unsere Gefühle gesprochen? Der Elefant zeigt sich jedoch auch in unserer beruflichen Tätigkeit. Wie lange schon ignorieren wir unsere Unzufriedenheit? Warum gestehen wir uns nicht ein, dass wir gar nicht glücklich sind mit dem was wir tun?
Auch in der Beziehung zu uns selbst kann der eine oder andere Elefant auftauchen. Er stellt sich direkt vor uns und wir können ihn nicht mehr weiter ignorieren. Er zeigt uns unsere Selbstsabotage, die schlechten Gewohnheiten und das ungesunde Verhalten, dass wir mit der Zeit entwickelt haben. Er lässt uns unsere Gedankenmuster erkennen, die uns daran hindern, ein gutes Leben zu führen.
So sehr wir uns dagegen sträuben, weiter die Augen schließen und unsere Vogel Strauß-Taktik beibehalten wollen, der Elefant im Raum wird nicht verschwinden. Zuerst müssen wir uns eingestehen, dass da ein Elefant im Raum steht, der hier nichts zu suchen hat. Wenn wir uns mit ihm anfreunden, wird er kleiner werden und sich schließlich auflösen. Wie schaffen wir das? Indem wir beginnen, zu unseren Bedürfnissen zu stehen, wertschätzend und ehrlich mit unseren Mitmenschen kommunizieren und Mitgefühl entwickeln. Mitgefühl für den anderen, aber vor allem für uns selbst. Doch so einfach es klingt, wir brauchen dazu ganz viel Mut und Stärke.
Momentan sind wir alle auf die Probe gestellt, denn die Welt formt sich neu. Sie wird durchgeschüttelt und wir mit ihr. Alles, was nicht mehr Bestand hat, fliegt raus, und diese Veränderung macht Angst. Doch nur durch die Veränderung können wir eine bessere Welt erschaffen, und diese Welt bildet sich gerade. Wenn wir alle gemeinsam mutig sind und ganz in unserer Kraft stehen, werden früher oder später sowohl die Elefanten im Raum als auch die Babyelefanten zwischen uns und unseren Mitmenschen verschwinden.
Ist es nicht spannend, dass gerade Elefanten für diese Metaphern verwendet werden? Diese Tiere symbolisieren sowohl Stärke und enorme Kraft als auch Sensibilität und Gemeinschaftssinn. Etwas, das wir als Menschheit gerade lernen dürfen!